Du gehst zum Arzt. Der fragt dich: „Was soll ich Ihnen verschreiben?“ Du sagst: „Äh...“ Er fragt weiter: „Stellen Sie sich vor, ich verschreibe Ihnen jetzt Metamizol. Sie hätten in drei Tagen keine Schmerzen mehr. Wäre das nicht klasse?“ „Ja, schon...“ „Klasse! Hier ist Ihr Rezept. Wiedersehen.“
Der Arzt stellt die falschen Fragen. Der Patient ist kein Mediziner. Er ist Klempner, Sachbearbeiter, Anwalt. Der Arzt betreibt kognitives Outsourcing: Statt sich selbst Gedanken zu machen, fragt er einfach den Patienten direkt nach einer Lösung. Doch sein Job ist es, die Symptome zu erfassen und mit seinem Fachwissen eine Lösung zu erarbeiten. Fragt er den Patienten nach seiner Wunschlösung, wälzt er die Denkarbeit und Verantwortung auf ihn ab.
Ich beobachte kognitives Outsourcing in vielen Teams. Sie fragen die User direkt nach einer Lösung („Wünsche“), statt selbst eine zu entwickeln. Sobald du zu den Usern gehst und sie nach ihren Wünschen fragst, betreibst du kognitives Outsourcing. Doch es ist deine Aufgabe, gemeinsam mit dem Team eine Lösung zu konzipieren. Die User können dir nur sagen und zeigen, welche Probleme sie haben. Sie nach ihren Wünschen zu fragen ist verlockend – aber auch gefährlich. Das bedeutet nicht, dass du nicht mit den Usern sprechen solltest. Auch der Arzt braucht Daten, um eine Lösung zu entwickeln. Wie solltest du das Gespräch also führen?
Frag den User nach seinen Problemen
Frag den User, was ihn heute nervt, was zu lange dauert, was kompliziert ist. Wenn du für diese Probleme Lösungen findest, werden deine User dein Produkt lieben. Falls das Produkt bereits lange genutzt wird oder gut funktioniert, ist jedoch ein anderer Ansatz nötig.

Lass den User seinen Prozess beschreiben
Kann der User keine Probleme benennen, dann lass dir seinen typischen Ablauf beschreiben. Noch besser: Beobachte ihn dabei. Viele User bemerken gar nicht mehr, wie viele kleine Tricks und Workarounds sie sich angeeignet haben. Oft nehmen sie Probleme nicht einmal mehr als solche wahr. Ein Sachbearbeiter kann beispielsweise ohne mit der Wimper zu zucken 25 Werte auf einem Taschenrechner berechnen, weil das Programm diese Werte nicht ausgibt – ohne das als Problem zu sehen. Das ist nicht seine Schuld. Aus dem Problem ist einfach Routine geworden.
Je konkreter, desto besser
„Stell dir vor, wir bauen [Wunschfeature XY] ein. Wie würde dir das gefallen?“ ist ungenau. Erstens liegt es in der Zukunft, zweitens erfragst du eine Meinung. Eine konkrete Frage bezieht sich auf die Vergangenheit oder Gegenwart des Users und sein Verhalten: „Was hast du in den letzten Wochen gemacht, um zur Arbeit zu kommen?“ ist konkret.

Sei neugierig!
Die Erzählungen der User sind voller „Marker“. Marker sind bedeutungsschwangere Aussagen, auf die du als Interviewer weiter eingehen solltest: „Ich lasse das meistens einfach sein“, „Das nervt“, „Ich liebe das“ – all das sind Marker. Frag nach, was der User damit meint. Diese vertiefenden Fragen kannst du nicht vorab planen. Wenn du lediglich deine aufgeschriebenen Fragen abarbeitest, bist du durch einen Fragebogen ersetzbar.
Bleib im Problemraum
Diese Tipps lassen sich mit einem einfachen Mantra zusammenfassen: „Bleib im Interview im Problemraum und meide den Lösungsraum.“